Donnerstag, 27. Juli 2023

Anmerkungen zum Handbuch Objektive Hermeneutik

Einige Aspekte des Handbuchs Objektive Hermeneutik*) erfordern eine Ergänzung bzw. Korrektur:

(1) Zum verdienstvollen Abdruck von Oevermann: Fallrekonstruktion und Strukturgeneralisierung (S. 47-82)

(a) Hier wurden – ohne editorische Erwähnung – die Unterstreichungen des Originals getilgt; insofern ist zu empfehlen, vergleichend auf das zwar lediglich als 'graues Papier' erschienene, aber vielzitierte Original zurückzugreifen (was allerdings leider durch die fehlende Seitenkonkordanz erschwert wird).

(b) Zu den nicht gefundenen Literaturhinweisen:

(i) Hommage (S. 81, Fn. 10):

Oevermann, Ulrich (1976): Piagets Bedeutung für die Soziologie. In: Hommage à Jean Piaget zum achtzigsten Geburtstag, Stuttgart: Klett, 36-41

(ii) Versozialwissenschaftlichte (S. 81, Fn. 9):

Es dürfte sich um eine Vorfassung des folgenden Textes handeln (wie wir wissen, arbeitete Oevermann seine Texte über Jahre hinweg aus und um, bis sie irgendwo öffentlich wurden):

Oevermann, Ulrich (1988): Eine exemplarische Fallrekonstruktion zum Typus versozialwissenschaftlichter Identitätsformation. In: Brose, Hanns Georg; Hildenbrand, Bruno (ed.), Vom Ende des Individuums zur Individualität ohne Ende, Opladen: Leske + Budrich, 243-286

(iii) Hermeneutik als (S. 81, Fn. 9): Es dürfte sich um eine Vorfassung der folgenden Texte handeln:

Oevermann, Ulrich (1990): Strukturale Hermeneutik als methodologische Grundlage für „Theorien der Subjektivität". Oldenburg (Vortrag zum Symposium „Verstehen und Methoden", in Oldenburg, am 6[.]9[.] 1990; Tpskr.; 78 S. + 12 S. (Zum Begriff der Lebenspraxis in der objektiven Hermeneutik) + 9 S. (Die Verfahren der Sequenzanalyse und die Fallrekonstruktion: Über den inneren Zusammenhang von objektiver Hermeneutik und Theorien der Individuierung und der Geschichte))

bzw.:

Oevermann, Ulrich (1992): Die objektive Hermeneutik als unverzichtbare methodologische Grundlage für die Analyse von Subjektivität. Zugleich eine Kritik der Tiefenhermeneutik. o. O. [Frankfurt/M.] (Tpskr., Oktober 1992; 48 S.)

bzw.:

Oevermann, Ulrich (1993): Die objektive Hermeneutik als unverzichtbare methodologische Grundlage für die Analyse von Subjektivität. Zugleich eine Kritik der Tiefenhermeneutik. In: Jung, Thomas; Müller-Doohm, Stefan (ed.), „Wirklichkeit“ im Deutungsprozeß. Verstehen und Methoden in den Kultur- und Sozialwissenschaften, Frankfurt/M.: Suhrkamp, 106-189

(2) Zur Einleitung (und auch zum Vorwort):

(a) Der Abschnitt über das Principle of Charity (S. 39) ist irritierend, da dort der Sache nach über die methodische Sparsamkeitsregel geredet wird. Das Principle of Charity betrifft aber gerade das alltagspraktische Verstehen und steht insofern dem Wörtlichkeitsprinzip entgegen.**)

(b) Die Frage des sogenannten Genderns wird behandelt als sei es eine Frage der Meinung, wie es etwa im Vorwort auf S. 12 erscheint, und gäbe keine Argumente. Dies ist für eine Methode wie die Objektive Hermeneutik, für die die regelkonstituierte objektive Bedeutung zentral ist, unangemessen. So werden etwa Rolle und Person zur „forschende[n] Person“ (S. 409) amalgamiert, wo im Feld der Soziologie zwischen beiden Begriffen doch klar zu unterscheiden ist; offenkundig falsch ist es, wenn dort, wo nun wirklich „Geschlechtsidentität […] zu den begrifflichen Merkmalen [zählt], auf die es ankommt“, um „potentielle Referenzentitäten begrifflich [zu] charakterisieren“ (Zifonun), nämlich beim Frauentausch, dieses Merkmal unterschlagen wird („Austausch von Menschen zwischen an sich fremden sozialen Gruppen“ – Einleitung S. 25).

(c) Das Verhältnis von Methode und Kunstlehre bleibt unklar: s. etwa „Methoden- und Kunstlehre“ (S. 15), weiteres: S. 15, 37, „methodische[..] Kunstlehre“ (S 41).***)

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*) Franzmann, Andreas; Rychner, Marianne; Scheid, Claudia; Twardella, Johannes (ed.) (2023): Handbuch Objektive Hermeneutik. Wiesbaden: Barbara Budrich.

**) s. den Exkurs dazu in: Loer, Thomas (2021): Interviews analysieren. Eine Einführung am Beispiel von Forschungsgesprächen mit Hundehaltern. Wiesbaden: Springer VS [Objektive Hermeneutik in Wissenschaft und Praxis], S. 118

***) Vgl. aber etwa den Abschn. „Kontistutionstheorie und Methodologie, Methode und Kunstlehre“ in Loer 2021, S. 24-26